Fakt: Agilität brauche eine andere Art von Führung und macht einen Wandel in der Führungskultur notwendig
Ein Interview mit Dr. Frank Kuhnecke zu dem neuen Buch, dass er mit Andreas Benkowitz zur Zeit ONLINE (writing out loud 🙂 basiert auf dem Konzept working out loud) schreibt.
Angelika Stein-Thelen: Frank, Ihr schreibt gerade an einem neuen Buch ‚6 Trends und Erkenntnisse – New Work – Neue Führung – Neue Formen der Zusammenarbeit‘.
Drei Themen sind uns beiden im Vorgespräch zu diesem Interview klar geworden und uns beiden in unserer Zusammenarbeit am Herzen:
- Wie sieht die Psychologie hinter ‚agil‘ aus?
- ‚Agil sein‘ erfordert ein neues Mindset
Beginnen will ich der Frage, wie siehts Du eigentliche die Psychologie hinter ‚agil‘?
Dr. Frank Kuhnecke:
Zwei NeurowissenschaftlerInnen haben gezeigt, wie elementar wichtig Beziehung ist, damit Organisationen optimal funktionieren können (How Emotions Are Made, Lisa Feldman Barrett (2018); Social Neuroscience, Russell K. Schutt (2015)).
Menschen sind nicht genetisch programmiert, sich „sozial“ zu verhalten. Wir alle mussten dieses „Herdenverhalten“ lernen. Gleichzeitig waren wir als Spezies immer auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen. Der kleine, schwache Homo Sapiens Sapiens alleine in der Savanne – ohne andere Homo Sapiens Sapiens – keine Chance. Aber eine Gruppe von Home Sapiens Sapiens, die miteinander kommunizieren können, ihre Emotionen und Absichten austauschen und ihr Verhalten darauf ausrichten können – keine Chance für Tiger, Löwen oder welche Jäger auch immer.
Also: wir mussten „sozial“ sein, um zu überleben. Die aktuelle Neuro-Evolutionsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass sich unser Gehirn in dieser Form und zu dieser Größe entwickelt hat, um genau diese Fähigkeit zu schaffen. Wir brauchen die anderen Homo Sapiens Sapiens und das ist tief in unserem Gehirn verankert.
Der zweite Aspekt sind Emotionen. Emotionen stärken die Gruppenbindung. Für stabile Gruppen ist die Erweiterung des emotionalen Repertoires entscheidend, um die Stärke der sozialen Bindungen und den Zusammenhalt der Gruppe zu erhöhen. Wir brauchten mehr Emotionen, um zu überleben, was bedeutete, dass wir größere und vernetzte subkortikale Hirnareale brauchten. Das menschliche Gehirn wurde geformt, um soziale Bindungen zu unterstützen und die Gruppenfunktion zu verbessern. Heute machen soziale Bindungen uns gesünder und erhöhen die Lebenserwartung.
Somit ist unser Gehirn – vor allem – sozial. Es ist für Kommunikation gemacht. Seine Plastizität ermöglicht es, viel flexibler auf Gruppensituationen zu reagieren. Ein Gehirn, das sowohl sozial als auch plastisch ist, ist ein Gehirn, dessen Funktionieren nur in einem sozialen Kontext, in Beziehungen verstanden werden kann. Die menschliche „Sozialität“ ist somit tief in die Biologie des Gehirns und damit in die bewusste und unbewusste Funktionsweise unseres Geistes eingebettet. Anders ausgedrückt: damit das Gehirn optimal funktionieren kann, brauchen wir gute Beziehungen. Unsere Kognitionen existieren hauptsächlich, um soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten (und nicht andersherum!).
Angelika Stein-Thelen: Frank, uns beiden ist klar, dass ‚agil sein‘ ein neues Mindset erfordert, aber was machen Führungskräfte in ‚alten hierarchischen Strukturen‘?Grundsätzlich: Agilität erfordert einen neuen Mindset bei Führungskräften und MitarbeiterInnen, der Angst frei ist, der die Fähigkeit hat, Beziehungen herzustellen, Konflikte zu lösen und Lösungswege zu moderieren und zu aktivieren und zu ermöglichen. Organisationen, die noch in den alten hierarchischen Strukturen funktionieren, führen letztendlich nicht zu Selbstverantwortung der MitarbeiterInnen. Das ist aber im Prozess von ‚agil sein’ eine – so zu sagen – notwendige Tugend der Selbstverantwortung zu leben. Du sagst: „Selbstverantwortung und Agilität sind keine Methoden, sondern Verhaltensmuster, die auf Einstellungen basieren.“
Dr. Frank Kuhnecke: Wir sehen ein Phänomen, dass auf allen Hierarchiestufen zu beobachten ist. Der Hintergrund: Unser Gehirn ist für Beziehung gemacht, sodass Beziehungsstörungen oft über fachliche Fragestellungen dominieren. Aus unserer Erfahrung mit Führungsfeedbacks wissen wir auch, dass Beziehungsstörungen oder unklare Beziehungen mit der eigenen Führungskraft von den MitarbeiterInnen als sehr belastend empfunden werden.
Praktisch bedeutet dies, dass wir Einzelpersonen, Teams, Organisationen in Bezug auf Beziehungsaufbau und Beziehungspflege Raum geben sollten. Unsere Organisationen sollten auf die Bildung von Beziehungen ausgerichtet sein!
Damit unser aller Gehirne optimal funktionieren können – für Sinn, Denken, Freude und Leistung – müssen Situationen geschaffen werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass
- sich stabile Beziehungen entwickeln können in denen dann auch kritische Themen angesprochen werden können und die Sicherheit besteht, inhaltliche Konflikte souverän zu bearbeiten,
- positive Emotionen geweckt werden,
- Menschen in der Lage sind, zu synchronisieren,
- Bedürfnisse erfüllt werden können,
- Menschen sich selbst zu überprüfen können und
- die Aktivierung von Abwehrmechanismen vermieden wird.
Die Tatsache, ob im Unternehmen SCRUM-Master eingesetzt sind oder viele öffentlich sichtbare KanBan-Boards, sagt wenig über die Wirkung aus. Dieses Phänomen hat sich in der Vergangenheit schon bei der Einführung von LEAN-Prozessen gezeigt.
Angesichts der sichtbaren Trends ist vielen Unternehmen klar, dass Veränderungen nicht aufzuhalten sind. Unter anderem sind die Trends:
- Die Kreativität aller Mitarbeiter zu nutzen
- Die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen
- Eine stärkere Kundenorientierung zu etablieren
- Knowledge Worker wirklich nutzen
- Die Sinnfrage zu beantworten
In der neuen Welt wartet der Kunde nicht lange auf Angebote und ist auch mit der Aussage: „Ich habe es weitergeleitet“ nicht zufrieden.
Vielen Unternehmen ist damit klar, dass Kreativität und Innovation nicht mehr die Aufgabe einiger Weniger ist.
Eine Lösung versprechen die agilen Ansätze. Dabei sind die Methoden gar nicht so neu. Die meisten Methoden sind schon als Problemlösung in komplexen Systemen am Ende des letzten Jahrtausends beschrieben worden, aber jetzt scheint die Zeit reif zu sein für neue Verhaltensmuster. Die alten Führungs- und Organisationsmethoden lassen sich nicht weiter optimieren, um Innovation und Reaktionsgeschwindigkeit zu fördern.
Der ideale MitarbeiterIn ist unabhängig von der Hierarchiestufe intrinsisch motiviert, handelt selbstverantwortlich und übernimmt Verantwortung, ist innovativ und fällt eigenständige Entscheidung, bei denen das Ziel der Gesamtfirma berücksichtigt wird.
All das kann man jedoch nicht verordnen oder delegieren. Damit Menschen in dieser Form agieren können, brauchen sie drei Grundvoraussetzungen.
Angstfreiheit und Begeisterung
Menschen müssen darauf vertrauen können, dass ihre Entscheidungen, die sie nach besten Wissen und Gewissen getroffen haben, ihnen nicht schaden. Wenn Sie Angst haben, dass ihre Entscheidung negative Konsequenzen hat, die sie nicht vorhersagen können, werden Menschen vorsichtig. In der Neuropsychologie ist bekannt, dass ängstliche Menschen sich nicht mit dem Ziel und den Möglichkeiten beschäftigen, sondern mit der Absicherung gegen negative Konsequenzen. Wenn es sicherer ist, auf Management-Entscheidungen zu warten, statt selber zu entscheiden, wird nicht entschieden. Deshalb ist Angstfreiheit eine notwendige Voraussetzung für die angestrebte Verhaltensänderung. Wenn diese gegeben ist und es kommt dann auch noch Begeisterung dazu, kann Agilität gelebt werden.
Beziehungsfähigkeit
Gute und schnelle Entscheidungen können getroffen werden, wenn Menschen offen miteinander reden können. Besonders dann, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt. Deshalb sind Konfliktfähigkeit und Vertrauen wichtige Voraussetzung für schnelle Abstimmung auf dem kurzen Weg. Die Qualität einer Beziehung zeigt sich nicht dann, dass alles klappt, sondern im Konflikt. Das Problem ist dabei weniger die Lösung der Konflikte, sondern, dass diese erst gar nicht thematisiert werden. Nicht angesprochene und nicht gelöste Konflikte im Unternehmen erhöhen sofort den Rückzug auf Formalien.
Sinnhaftigkeit
Die Forschung des Wertewandels machen deutlich, dass die Frage nach dem Sinn für Menschen immer bedeutsamer wird. Wenn ich weiß, wofür ich etwas tue und ich dieses Ziel als wichtig und richtig betrachte, hat Demotivation nur eine geringe Chance. Anders lässt sich das hohe Engagement von Begleitern in Hospizen bei gleichzeitig sehr schlechter Bezahlung nicht erklären. Sinnhaftigkeit braucht eine hohe Klarheit der Intention. Intention ist die Absicht hinter einer Maßnahme, die Antwort auf die Frage: wofür machen wir das? Das betrifft den grundsätzlichen Zweck des Unternehmens, wie auch die Strategie und die einzelne Maßnahme. Diese Diskussion sind in der Arbeitswelt neu und für die meisten Führungskräfte eine wirkliche Herausforderung. Dabei werden Unternehmen auch in ihrem sozialen Fokus gemessen. Eine Studie hat z. B. gezeigt, dass Unternehmen, die einen ausschließlichen Fokus auf Shareholder Value haben, nicht erfolgreicher sind als andere.
Somit sind die drei Größen Angstfreiheit und Begeisterung, Beziehungsfähigkeit und Sinnhaftigkeit die Voraussetzung für den Wandel und brauchen unsere ganze Aufmerksamkeit.
Agilität erfordert eine ‚andere Art der Kommunikation‘
Folgende Fragen ergeben sich daraus für eine Führungskraft:
- Was muss ich machen, damit Agilität in einem – noch vorhandenen hierarchischen System bzw. Struktur – ermöglicht wird?
- Wie muss ich kommunizieren, damit der Austausch klappt, mit denen, die noch nicht ‚so agil’ arbeiten?
- Wie kann ich diese Veränderung im Unternehmen hinzu einem neuen Mindset ‚Agilität‘ fördern, unterstützen?
Dr. Frank Kuhnecke: Seit mehr als 30 Jahren ist er Organisationsberater und Veränderungscoach und hat als Leiter einer Coaching-Akademie hunderte von Coaches und Trainern ausgebildet und zertifiziert. Er ist immer wieder davon fasziniert, wie Menschen es schaffen, sich unfassbar komplexe Probleme zu bauen – und wie einfach die Auswege sind, wenn man „ganz einfach“ im richtigen Augenblick die richtige Intervention anwendet.